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Le texte suivant traîte du deuxième chapitre complet du livre "Das Auge" de Georg Joseph Beer. Ce texte constitue la première documentation écrite sur l 'éducation d'un chien guide d'aveugle.

Ce livre est extrêmement rare. C'est pourquoi nous remercions vivement la Bibliothèque Nationale de Luxembourg qui nous a procuré une copie de ce livre.


"Das Auge, oder Versuch das edelste Geschenk der Schöpfung vor dem höchst verderblichen Einflüssen unseres Zeitalters zu sichern."

Wien 1813

Georg Joseph Beer

23.12.1763 - 11.04.1821

Kapitel II

Leidensgeschichte des blinden Mannes, dem sein Hund als Führer dient.

Photo: Titelseite des Buches Es ist doch sonderbar, daß dieser Mann bis jetzt noch niemals jener psychologischen Aufmerksamkeit gewürdigt worden ist, die er wirklich verdient; - im Gegentheil mußte ich ihn schon gegen sehr viele Menschen in Schutz nehmen, welche ohne alle Selbstuntersuchung, und folglich noch weniger mit irgend einer Art von Selbstüberzeugung geradehin behauten wollten, der Mann sehe noch etwas, er verstelle sich nur, und spiele die Komödie mit dem Hunde, um ein reichliches Almosen zu erhalten!!! Ich war einmal Zeuge davon, daß ein Fremder, der voll Bedauern und Verwunderung diesen armen Blinden eben eine Gabe reichen wollte, sie schnell wieder in die Tasche schob, und an den Unglücklichen mit Verachtung vorüber zu gehen drohte, weil ihn ein andere zurückhielt und versicherte, daß er seine Wohltat an einen Nichtswürdigen verschwende, der sich nur stockblind zu sein stellt. Ich hielt es für meine Pflicht ins Mittel zu treten, und den unbesonnenen Verläumder sogleich zu beschämen; - und ich glaube der guten Sache, und der gebildeten Klasse meiner Landsleute einigen Dienst zu leisten, wenn ich die von mir mit der größten Sorgfalt aufgenommenen Leidensgeschichte dieses in vieler Hinsicht merkwürdigen Mannes öffentlich mitteile, denn sie dürfte für den Arzt, für den Philosophen im strengen Sinne, und zunächst für den Anthropologen nicht nur an für sich schon sehr Interesse haben, sondern noch um so interessanter werden, wenn man sie mit der Bildungsgeschichte des blinden Fräulein Paradies zusammenstellt, zu der sie das schönste und wichtigste Gegenstück giebt.  *)

*) Herr Doktor Wagner theilte uns diese Bildungsgeschichte in seinen Vorträgen zur philosophischen Anthropologie im Jahre 1796 mit.

Wie weit es der Blinde in Hinsicht der Ausbildung seiner übrigen Sinne, vorzüglich seines Gehörs und Gefühls, und selbst seiner Geistesfähigkeiten bringen kann, wie unaufhaltsam er in jedem Augenblick seines uns elend scheinenden Lebens strebt, sich der menschlichen Gesellschaft allenthalben anzuschliessen, von der ihm seine Blindheit bis zu dem glücklichen Augenblick der Errichtung eines Blinden-Erziehungsinstituts größtentheils ausschloß, beweisen zwar diese beiden Geschichten sehr auffallend, und doch haben sie sonst durchaus nichts miteinander gemein; den Fräulein Paradies erhielt eine Erziehung, welche nicht nur auf einen hohen Grad der Ausbildung ihrer künstlerischen Anlagen und Fähigkeiten, sondern auch auf Veredlung ihres subjektiven Gehaltes hinauslief. - Auf solche Art wurde es ihr leicht, das Mitleid, welches man allein schon dem Blinden zuwendet, bald in eine herzliche Theilnahme und thätige Freundschaft derjenigen, die sie kennen lernten, zu verwandeln. - Weit schwerer war der ungebahnte und sehr rauhe Weg dieses armen Mannes, den keine gebildete Menschen huldreich beistanden, den keine Meister mühsam und sorgfältig belehrten, der nur alles aus sich selbst hervorbringen, der sich seine äußerst beschränkte Existenz in der menschlichen Gesellschaft ganz allein schaffen mußte. Freuen wir uns immerhin des schönen trefflichen Konzertes, das eine blinde Paradies mit aller Präcision spielt, sehen und hören wir ihr mit Bewunderung zu,wie fertig sie dem Umgang und die Form einer Stube, bloß ihrem Gemeingefühle und ihrem Gehör nach bestimmt, u.s.w.; so müssen wir aber dagegen über den Erfindungsgeist eines blinden Mannes erstaunen, der selbst ohne alle Erziehung schon dreimal ganz verschiedene Hunde zu seinen sorgsamen und sichern Führern in dem Volk- und wagenreichen Wien ausgebildet hat. Wer kann an diesem Manne, ohne in seinem Innersten ergriffen zu werden, vorübergehen? Wer wird ihn nicht im philosophischen und anthropologischen Sinne um mehrere Stuffen höher stellen, als das Fräulein Paradies?

Photo: Die Augen des Joseph Reisinger Dieser Blinde, der unsere volle Aufmerksamkeit, unser volles Mitleid verdient, der nun acht und fünfzigjährige Joseph Reisinger, ist der Sohn eines Invaliden aus dem hiesigen Invalidenhause; - als er zum Knaben heranwuchs, kam er hier zu einem Siebmacher in die Lehre, von dem er im siebenzehnten Jahre seines Alters freigesprochen auf die Wanderung zog. - Noch hatte er sein zwanzigstes Jahr nicht erreicht, als er unglücklicher Weise in Ungarn, in Fünfkirchen, von einer äußerst heftigen Entzündung an beiden Augen befallen wurde, die man durch mehrere Tage völlig sich selbst überlies, und welche schon dadurch um vieles sich verschlimmerte, weil man den armen Halbblinden dennoch strenge zur Arbeit anhielt. - Endlich wurde es doch seinem Meister selbst zu arg, und er suchte für seinen augenkranken Gesellen Hülfe, - nicht etwa bei einem verständigen Arzt, sondern bei einer nicht weit entfernten ungarischen Edelfrau, die ihm denn so lange Kanarienzucker (ein sehr bekanntes Hausmittel alter Weiber) in die Augen blies, bis beide durch die Eiterung beinahe zerstört waren, welches Meisterstück auch schon in vierzehn Tagen zu Stande kam, so zwar, daß das rechte Auge beinahe ausgeeitert, das linke aber durch ein kegelförmiges vollkommen ausgebildetes Hornhautstaphilom häßlich entstellt ist, wie man in den beiden Bildern I. und II. sieht, die ich selbst getreu nach der Natur mahlte, um den Aerzten und Laien die Unmöglichkeit eines Restes von Sehvermögen zu beweisen, und somit diesen ohnehin Unglücklichen von aller weitern muthwilligen Verläumdung und Beeinträchtigung seines Almosens zu sichern.

Jetzt war der arme junge Mann von der Hoffnung sein Brod jemals selbst wieder verdienen zu können mit einemmale losgerissen, und dem höchsten Elend solange preis gegeben, bis sich wohlwollende Menschen seiner erbarmten, ihn nach Wien brachten, und voll des Vertrauens den Herrn Professor Barth um Hülfe für ihn ansprachen. Doch dieser mußte leider augenblicklich sein Todesurteil im dem Worte unheilbar über ihn aussprechen, und die Verzweiflung würde den armen Verurtheilten ergriffen haben, wenn ihn nicht seine alte Lehrfrau so lange in ihrem Hause verpflegt hätte, bis sich für ihn durch ihre thätige Verwendung eine Armenpfründe im hiesigen Siechenhause, welches uns noch unter dem Namen Bäckenhäufel bekannt ist, fand. - Aber freilich fünf Kreuzer des Tags waren für einen Blinden eine viel zu spärliche Versorgung, welche dem elenden Leben dieses Unglücklichen bald das Ziel gesetzt haben würde,  wenn ihm nicht die wohlthätige Lehrfrau und andere Menschenfreunde von Zeit zu Zeit durch milde Gaben unterstützt hätten. -

Beinahe acht kummervolle Jahre waren auf solche Art schon verlaufen, in denen sich der bedauernswürdige junge Mann so ziemlich an sein schreckliches Loos gewöhnt haben würde (denn welchen Jammer macht die Gewohnheit nicht erträglich?) wenn ihm nicht immer andere Pfründler, welche ihn in jene Privathäuser, wo er Almosen abzuholen hatte, geleitet, mehr als die Hälfte dieser kärglichen Spende abgenommen hätten. - Die völlige Überzeugung, nur zwischen dieser theuren Hülfsleistung und gänzlicher Hülfslosigkeit wählen zu können, verkümmerte ihm sein ohnehin mühseliges Leben noch mehr, und man kann sich daher die freudenvolle Ueberraschung denken, als ihm eines Tages, da er eben völlig muthlos im Hofe des Spitals saß, ein Fleischhauerknecht, der im Hause öfters zu thun hatte, mit der herzlichen Theilnahme an seinem Leiden einen Hund mit dem Bedeuten schenkte, daß er doch versuchen solle, ob er ihn nicht etwas zu seinem Führer abrichten, und sich auf solche Art der lästigen und kostspieligen Geleitsmänner auf immer entledigen könnte. - Wodurch dieser menschenfreundliche Tröster aber eigentlich auf diesen glücklichen Einfall gekommen war, läßt sich nicht bestimmen. Vielleicht? weil die Fleischer sich überhaupt viel mit der Belehrung von Hunden abgeben? vielleicht hatte er auch beiläufig etwas von dem Quince-vingt gehört? welche fast durchaus von wohlabgerichteten Hunden in dem weitläufigen Paris geleitet werden *); - daher auch die Franzosen, welche Wien besetzt hielten, jedesmal in ein lautes Freudengeschrei ausbrachen, wenn sie unsern Blinden zum ersten mal erblickten, und ihn bald, indem er alle Montage in der Alsterkasserne sein Brot faßt, so lieb gewannen, daß sie ihm recht landsmännisch schon von weitem zuriefen: ah voilá le Parisien! -

*) Anmerkung. König Ludwig der Heilige hat diese vortreffliche Anstalt für dreihundert blinde Edelleute, die er aus dem gelobten Lande mit zurückbrachte, im Jahre 1254 in Paris errichtet, um sie menschenfreundlich zu versorgen, weil ihnen die Garazenen die Augen ausgestochen hätten.

Die Hoffnung auf einen bessern Lebensgenuß, und die zu einer solchen Unternehmung erforderlichen Beschäftigung, welche dem Blinden unentbehrlich ist, wenn er nicht seines Daseins bald müde werden soll, verscheuchte jetzt allen Kummer, und mit Ungeduld harrte er des Augenblickes, im dem er den Unterricht mit seinem künftigen Führer wirklich anfangen konnte, den er auf seine eigene Art einleitete.

Um vor allen andern den Hund nicht zu verlieren, und schnell an sich zu gewöhnen, band er ihn an eine Schnur, die ihn zu seinem unzertrennlichen Gefährten machte, und durch eine reichliche und gute Nahrung, durch Liebkosungen aller Art, suchte er ihn sich ganz anzueignen. - So gelang es ihm denn auch bald, die Liebe, Anhänglichkeit und Treue dieses Thieres in einem solchen Grade zu gewinnen, daß es auch losgebunden nicht mehr von seiner Seite wich, wenn er mit Hülfe seines Stockes in den ihm schon sehr wohlbekannten Siechenhause herumwanderte. - Doch nicht nebenher, sondern gerade voraus mußte der kleine Gefährte gehen, wenn er des Blinden Führer werden sollte, aber dazu brachte er ihn nur sehr schwer, theils durch Schmeicheleien, theils durch Drohungen, indem er ihn mit seinem Stocke in einer bestimmten Richtung vor sich langsam hertrieb. -

Daß der Hund oft unrecht verstand, oft schnell zur Seite ausbog, bald zu langsam, bald zu geschwind ging, kann man sich leicht vorstellen, und eben so leicht die unbegränzte Geduld, und unbeschreibliche Mühe denken, mit der sich dieser Mann nach und nach seinem Gefährten verständlich machte. Endlich kam er auch damit zu recht, und weniger schwer hielt es, den Hund augenblicklich vor sich zum Stillestehen zu bringen, denn dieses lernte er ihm bald durch ein schnelles aber immer leiser werdendes Anziehen der Schnur. Wollte er dann wieder weiter gehen, so ließ er die Schnur wieder völlig los, oder gab mit der Hand, mit dem Stocke, oder auch mit einem Worte, dessen Bedeutung der kleine Führer bald abmerkte, ein Zeichen. - Allerdings war jetzt schon viel gewonnen,aber wie viel war auch noch zu thun, wenn der Endzweck dieses Unterrichtes völlig erreicht werden sollte; denn jetzt ging der Hund zwar schon langsam gerade voraus, er mußte aber erst die Wege kennen lernen, die er seinen Herrn zu führen hatte, und diese gingen dann freilich nicht immer gerade aus. Um diese schwere Aufgabe zu lösen, suchte der Blinde zuerst seinen Hund an die ihm selbst schon sehr gut bekannte Gehbahn im Hofe des Hauses, die seinerseits vom Rasen begrenzt war, zu gewöhnen, doch so, daß er sich immer genau an dem Rande des Rasens hinhielt, woher es denn auch kam, daß ihn sein Führer nachher immer auf den Strassen der Stadt und der Vorstädte sorgsam an den Häusern hingeleite, und niemals in der Mitte der Gasse lief, auch am Glacis den Gehsteig niemals verfehlte. - Wie natürlich that auch bei diesem Kapitel des Unterrichtes der Stock das Seinige, mit dem nicht nur die Grenze des Rasens aufgesucht, sondern auch der Gang dem Hunde vorgezeichnet werden mußte, indem der Blinde nur sehr langsam und vorwärts gebeugt, um seinen künftigen Führer mit der Hand sogleich zurecht weisen zu können, an den Rasen  hinschlich, wobei er die Schnur immer kurz gefaßt und straff angezogen hielt, damit er jede fehlerhafte Ausbeugung des Hundes sogleich gewahr wurde.

Durch den rastlosen Eifer, mit welchem unser Blinder diesen seinen Unterricht fortsetzte, kam er denn endlich so weit, daß ihn der Hund mit voller Bestimmtheit auf der Gehbahne des Hofraumes allenthalben herumführte, ohne auch nur ein einziges male des Rasen zu betreten; und nun schritt er zu einer neuen Aufgabe für seinen Lehrling, indem er bald an dieser bald an jener ihm bekannten Thüre des Hauses stehen blieb, und nicht nur schnell das Führband anzog, sondern auch gehen die Thüre hinzog, durch die er zu gehen gedachte, was der Hund auch sehr bald ganz deutlich begriff. Wollte er nun inner der Thüre weiter rechts oder links fort, so machte er seinen Führer ebenfalls durch das Links- oder Rechtsziehen der Schnur aufmerksam, und kam er in eine Halle des Hauses, so ließ er ihn langsam seines Weges gerade zu, jedoch nahe an der wand fortgehen, bis er wieder an eine Thüre kam, wo er das beschriebene Manöver wiederholte, wodurch sich der Hund sehr bald daran gewöhnte, vor jeder Thüre stehen zu bleiben, um seinen Herrn aufmerksam zu machen. Dieser durfte ihm dann nur ein Zeichen zum Fortschreiten geben, wenn er durch dieser Thüre gerade nicht hineingehen wollte, so ging er auch wieder seinen Weg schnurstraks vorwärts; zog er die Schnur hingegen nur äußerst leise an die Thüre hin, vor welcher der Hund stehen geblieben war, so führte er ihn auch ohne weiters hinein.

Kam der Blinde an die Treppe, so zog er das Band sehr straff an, und blieb lange stehen, bis er endlich seinem Führer das bekannte Zeichen zum Vorwärts gehen gab; dieser stieg nun langsam hinan, und lernte es bald auf jeder Abtheilung der Treppe, welche der Blinde schon aus der Zahl der Stufen voraus kannte, wieder stehen zu bleiben. Nicht völlig zwei Monate waren verflossen, als sich unser Blinder im Versorgungshause schon allenthalben auf seinen sorgsamen Führer so vollkommen verlassen konnte, dass er nun gar nicht mehr den Stock nöthig hatte, der bisher sein einziger Führer war, worüber man sich um so mehr wundern muß, weil dieser Hund gar nicht zur Klasse der Gelehrigen gehörte, sondern ein kleiner Spitz war, die gewöhnlich nur sehr schwer abzurichten sind.

Mit jedem Tage wuchs nun die Liebe und das Zutrauen des Unglücklichen, zu diesem uneigennützigen Gefährten und Führer, und nur zu früh wagte sich der Blinde mit ihm auch außer das Haus auf die offene Straße; denn die ersten äußerst glücklich abgelaufenen Versuche machten ihn so dreist, daß er schon nach einigen Tagen auf den tollen Einfall gerieth, von dem Versorgungshause in der Währingergasse bis auf die Laimgrube bloß in Begleitung seines Hundes zu seiner alten Lehrfrau zu gehen, wo ihn Dankbarkeit hinzog. - Obwohl er nun als ein Eingeborner die Stadt und die Vorstädte auf das genaueste kannte, obwohl er auf diesem gewagten Wege seine ganze Aufmerksamkeit, und besonders sein treffliches Gehör unglaublich anstrengte, obwohl er mit dem Stocke vor und nebenher immer fleißig sondierte, und sich beständig an den Häusern hinhielt, so kam ihm doch diese erste Wanderung sehr teuer zu stehen, denn der Hund, des neuen Weges ganz unkundig, verführte ihn oft, und zwar so schnell, besonders am Glacis, daß er ehe er sichs versah, hier und da in einen Graben fiel, zumal, wenn er über einen kleinen nicht mit Geländern versehenen Steg gehen mußte, wo sein Führer die Reihe immer zu kurz nahm. Die kräftige Zurechtweisung mit dem Stocke, die dem unverständigen Geleiter in solchen Fällen freilich immer echt reichlich zu Theil wurde, konnte wie natürlich für diesen Augenblick noch nichts nützen, sondern mußte erst in der Folge fruchtbringend werden, bis nämlich der Hund den Zusammenhang der Schläge mit seiner fehlerhaften Leitung allmählich begriff, daher denn auch der arme Blinde schon wieder in den nächsten Graben fiel. - Wollte sich auch hier und da einer der Vorübergehenden des übel geleiteten Blinden annehmen, und ihn an Ort und Stelle bringen, so gab er es durchaus nicht zu, in der ersten Überzeugung, daß es ihm denn doch noch gelingen würde und müsse, seinen Hund zum sichern Führer auszubilden. - Ganz blutrünstig kam er endlich bei seiner menschenfreundlichen Lehrfrau an, die nicht wenig über seinen Anblick in Schrecken und Angst gerieth, ihn auch nicht mehr der Leitung seines Hundes allein auf dem Rückwege überlassen wollte, sondern einen ihrer Dienstbothen, ohne daß es der Blinde damals selbst wußte, nachschickte, um ihn genau zu beobachten und im Nothfalle zu helfen.

Jetzt wurde der Unterricht des Hundes freilich mit größerer Vorsicht und Behutsamkeit betrieben, nicht so bald wagte der Blinde wieder eine so weite und unsichere Reise, und der glückliche Erfolg lohnte ihn reichlich für seinen ausharrenden Fleiß; denn kaum war ein Jahr verflossen, als er schon bloß mit Hülfe seines getreuen Hundes nicht nur nach der Stadt, sondern auch nach allen, selbst den entferntesten Vorstädten vollkommen sicher gehen konnte, indem er den Spitz auf die schon beschriebene Art durch das Anziehen, Nachlassen, und die bestimmte Direktion der Schnur, und durch die oft wiederholte Leitung mit der Hand  und mit dem Stocke endlich sogar dahin gebracht hatte, daß er bei jedem völlig geschlossenen Schranken, bei jedem Hügel, bei jedem kleinen Graben, ja sogar bei jeder Gasse, oder wenn ihm ein Wagen oder ein Reiter in die Queere kamen, stille stehen blieb, um seinen Herrn aufmerksam zu machen, damit er entweder mit dem Stocke vor sich hin den Weg genau untersuchen, oder sich gegen die Pferde sichern konnte; - und volle dreißig Jahre sind es nun, daß er sich auf seinen weitläufigen Wanderungen in Wien keinen anderen Führer, als wohlabgerichteten Hunden anvertraut.

Stich: Joseph Reisinger mit Hund Da jedoch der Hund es nicht wissen kann, welchen Weg sein Herr eigentlich nehmen will, wenn er nicht etwa seine schon gewohnten bestimmten Gänge macht, die seinem Führer sehr genau bekannt sind, so muß er ihn nothwendig jedesmal erst mittelst der Schnur aufmerksam machen, und so zu sagen in einer Hinsicht wieder selbst leiten, wenn er einen ungewöhlichen Weg einschlagen will, wozu denn freilich eine sehr genaue Bekanntschaft des Blinden mit allen Gegenden, Straßen, Plätzen der Stadt und der Vorstädte, eine durch nichts stöhrbare Aufmerksamkeit, eine sehr lebhafte immer rege Imagination, ein äußerst feines Gemeingefühl, ein unübertreffliches Gehör, und endlich wohl auch eine bestimmte deutliche Empfindung aller Abstuffungen des Lichtes erforderlich ist, womit sich denn auch dieser arme Mann von der äußersten Nothwendigkeit gedrungen, nach und nach bis auf einen unglaublichen Grad ausgerüstet hat, was sich von diesem wirklich genialisch bezeichneten Kopfe, den meine Leser in dem beigefügten von mir getreu nach der Natur gezeichnetem Bilde finden werden, wohl erwarten ließ. --

Wird dieser Mann nun in ein Haus beschieden, wo er noch niemals war, so muß er freilich, wenn er sich einmal in der Gasse befindet, nach dem Hause fragen, und sich dahin weisen lassen; jedoch von dem Hausthore bis zur Treppe, wenn sie auch noch so versteckt ist, leitet ihn der Hund sicher, wenn anders nur eine Treppe im Hause ist, sind aber deren mehrere, so muß der Blinde abermals nach der rechten fragen. Da der Hund auf jeder Abtheilung der Treppe seinen Herrn aufmerksam zu machen gewohnt ist, und dieser es schon weiß, wie viel Treppen hoch sein neuer Gönner wohnt, so findet er sich hier leicht zurecht. - Kömmt der Hund am Glacis zu einem halboffenen Schranken, so läuft er niemals unter dem Schranken weg, wie alle anderen Hunde, sondern er führt seinen Herrn zwischen der Öffnung des Schrankens sorgsam durch, ohne die Schnur an dem Kreuz zu verwickeln. - Kann man sich denn wundern? wenn sich dieser Blinde auf solche Art bald an seinen wohlbelehrten Führer so sehr gewöhnte, daß er auch späterhin, als sich ihm die Gelegenheit darbot, eine Wittib zu heirathen, durch die er aus dem Siechenhause in eine theilnehmendere Verpflegung kam, sogar die Leitung seines Weibes in ihren arbeitslosen Stunden ausschlug; woran er auch sehr wohl that, weil der Hund gewiß bald sehr viel von dem mühsam Erlernten vergessen haben würde. - Zwei gesunde Kinder, eine Tochter die jetzt neunzehn Jahre zählt, und ihr Brod schon selbst mit der Verfertigung der schwarzen Pointes d'Espagne erwirbt, und ein Sohn der nun in seinem siebzehnten Jahre, bei unserm verdienstvollen Typographen Strauß, als Buchdruckergeselle im Golde steht, sind die Frucht dieser Ehe, und von ihnen hofft der arme Mann, wenn es ihm seine Kräfte einst versagen, die milden Gaben von seinen menschenfreundlichen Gönnern selbst einzuholen, Trost, Pflege, und Unterstützung; der Himmel gebe! daß er sich in seiner Erwartung ja nie getäuscht finde! -

Beinahe schon sechzehn Jahre hatte unser Blinde seinen getreuen Spitz als den einzigen Führer, auf dem er sich verlassen konnte, als dieser einmal plötzlich ohne aller äußeren Veranlassung am Kärtnerthore zusammen fiel, und gleich darauf in den Armen seines dankbaren Herrn starb. - So groß, so empfindlich auch sein Schmerz über den Verlust dieses getreuen Gefährten war, so fand er doch die größte Beruhigung in der jetzt so fruchtbar gewordenen Vorsicht, mit welcher er schon seit einigen Jahren darauf bedacht war, einen anderen Hund nebenher zu seinem künftigen Führer auszubilden, damit er in dem Falle, als jener erstere stürbe, oder wenigstens völlig erblindete, indem er schon an einem Auge staarblind geworden war, seine gewohnte Leitung nicht entbehren müßte. - Es ist also, Dank sei der Menschlichkeit! nicht wahr, daß sein erster Führer von einem heimtückischen Hundsschläger zu seinen Füßen erschlagen worden ist, wie man damals allgemein erzählte.

Die Ausbildung seines zweiten Geleiters fiel ihm aus doppeltem Grunde um so leichter, als die des erstern, den er benutzte jetzt schon sorgfältig seine Erfahrung, und schlug bei seinem Unterrichte den von ihr bezeichneten, und wie natürlich viel kürzeren Weg ein; - und zweitens wählte er wohlbedacht einen Pudel, welcher schon an und für sich weit leichter zu belehren ist, und viel mehr natürliche unerkünstelte Anhänglichkeit an den Menschen hat, als jeder andere Hund. - Dieser Hund war auch so vortreflich abgerichtet, dass er sich durch dreizehn Jahre noch weit sorgenloser auf ihn verließ, als auf seinen ersten Führer, dem er durch ein Jahr im Strengsten Sinne adjungirt war; und wirklich verdiente dieses zwar sehr häßliche aber ungemein gutmütige Thier die Größte Aufmerksamkeit und Bewunderung des Philosophen in jeder Hinsicht, vorzüglich aber wegen seiner beinahme unerschütterlichen Sorgfalt, mit welcher er jede Bewegung seines Herrn belauschte, und ihn (so zu sagen) gar nicht aus den Augen ließ, und dennoch alles zugleich genau beobachtete, was auf seinen Herrn von Außen einen Bezug haben könnte. So bemerkte er es unter anderem schon von Weitem, wenn sich jemand auf der Straße dem Blinden nähern wollte, und zu gleicher Zeit in die Tasche griff, um ihm ein Almosen zu reichen,; denn augenblicklich stand er Stille, und suchte seinem Herrn eben dadurch aufmerksam auf den Näherkommenden zu machen. - So sah ich unter anderem einmal, daß dieser Blinde bei der Alsterkasserne über den Fahrweg nach der Allee gehen wollte, als plötzlich ein Reiter im vollem Carriere queer über den Weg sprengte. Der Hund konnte nun nicht mehr geschwind genug vorwärts mit seinem Herrn, er sah die Gefahr in der derselbe schwebte, und warf sich mit einem heulenden, dem Hunde sonst nicht gewöhnlichen, mehr der Stimme eines heftig erschreckenden Kindes ähnlichem Geschrei, zwischen die Füße des Blinden, um ihn am Forwärtsschreiten zu hindern, obwohl der Reiter noch mehrere Schritte entfernt war. - Oft habe ich diesen seinen zweiten Führer stundenlang mit der größten Genauigkeit beobachtet, und jedesmal wurde ich zur neuen Bewunderung hingerissen, indem seine Sorgfalt für den Herrn so weit ging, daß er meistens selbst seine Hundesnatur verläugnete; - denn nur äußerst selten vergaß er auf einen Augenblick seine Dienstpflicht über einer interessanten Hundesbekanntschaft, oder über einen sehr netten wohlriechenden Knochen; aber die leiseste Erinnerung mit dem Stocke, ohne eben geschlagen zu werden, oft schon ein leiser Zug an der Schnur war hinlänglich, ihn auch das vergessen zu machen, und zu seiner Pflicht zurückzuweisen.

Am ersten Februar 1809 hatte unser Blinde das Unglück auch diesen vortreflichen und getreuen Führer durch Krankheit zu verlieren; er hat sich aber seit dieser Zeit wieder einen neuen Hund ziemlich gut zu seinem Geleiter abgerichtet; - ein offenbarer Beweis, wie sehr dieser Blinde seine Unterrichtsmethode verbessert, und ins Reine gebracht haben muß.

 

 

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