Direkt zum Inhalt gehen
Image: Logo CGAL
homepage  kontakt  suche  sitemap  Erzeugen einer druckoptimierten Version dieser Seite  Français

1847

In der Schweiz richtete Jakob Birrer ebenfalls einen Spitz zum Führhund ab, der ihm 5 Jahre lang als treuer Begleiter diente. Er berichtete darüber in seinem Buch "Erinnerungen, merkwürdige Lebensfahrten und besondere Ansichten des Jakob Birrer von Luthern".


Stich: Jakob Birrer mit seinem Blindenführhund auf einem Weg in ländlicher Kulisse

Auszug aus:

Erinnerungen, merkwürdige Lebensfahrten und besondere Ansichten des Jakob Birrer von Luthern

der in seinem vierten Lebensjahre an den Kinderblattern gänzlich blind geworden

Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Zürich 1844

Art und Weise, die Hunde abzurichten, welche dem Blinden zum Führer dienen sollen

Unter allen Hausthieren, welche dem Menschen zum Nutze dienen, leistet ihm schwerlich ein Thier so viele Dienste, als der Hund; auch ist ihm seines so zugethan, als dieser treue Hüter und Gefährte. Er zeichnet sich ebenso durch Thätigkeit und Verstand, als durch Liebe und Gehorsam aus, und hat einen so gutmüthigen Charakter, daß er sich nur der empfangenen Wohlthaten und nicht der Schläge zu erinnern scheint. Was ihm sein Herr aufträgt, das führt er unermüdlich aus; was man ihm anvertraut, bewacht er mit Sorgfalt; geräth man in Gefahr, so steht er uns rettend bei; ja, er rächt seinen Herrn sogar an dem Beleidiger und hilft diesen der verdienten Strafe überliefern.

Besonders den Blinden erweist dieses Thier die ausgezeichneten Dienste; es taugt vorzüglich für diejenigen, die des Augenlichtes beraubt sind. Man kann sagen, daß der Hund, welcher diesem Unglücklichen zum Führer dient, hienieden einen Auftrag erfüllt, der ihn an die Spitze seines Geschlechtes stellt. Dazu soll er aber mit besonderer Sorgfalt, und zwar von dem Blinden selbst, abgerichtet werden.

Ich fühle mich daher verpflichtet, meinen blinden Mitkollegen, die sich allenfalls von Hunden leiten lassen wollen, eine Anleitung zur Dressur derselben zu ertheilen, welche hauptsächlich auf meinen eigenen praktischen Erfahrungen beruht. Schon vor circa 4-5 Jahren hörte ich, daß in Paris mancher Blinde einen Pudel zum Führer habe, was mir aber nicht glaubwürdig schien. Bei diesem Anlaß sprach ich mich überhaupt aus, keinen Hund zum Führer haben zu wollen; doch kam ich vor zwei Jahren auf den Einfall, die Probe selbst mit einem Spitzerhund vorzunehmen.

Photo: Titelseite des Buches

Die Dressur nahm ich auf folgende Weise vor:

1. Machte ich es mir zur Regel, daß ich den Hund mit angezogenem Stricke vorangehen ließ; folgte er dieser Leitung beständig, so begab ich mich mit ihm auf einen Platz, der mir wohl bekannt war, um zu erfahren, ob er seinem Wege treu bleibe.

2. War ich dessen gewiß, so betrat ich mit ihm einen Baumgarten und spazierte hin und her. Zog der Hund mich so nahe an einem Baume vorbei, daß ich hätte anstoßen können, so begab ich mich auf die entgegengesetzte Seite, zog die Schnur um den Baumstamm herum, bis er einige Schmerzen empfand, um ihm dadurch eine Scheu vor den Bäumen, Wehrsteinen u. dgl. beizubringen.

3. Als ich sicher war, daß er durch einen Baumgarten gehen konnte, ohne anzustoßen, so begab ich mich in eine Allee, wo sich Pallisaden oder Trüllen befanden, und nahm die gleiche Übung mit meinem Hunde vor, die ich schon oben angedeutet. Diese Aufgabe ist jedoch eine der Schwersten; denn man muß genau darauf achten, daß der Hund, statt unten durchzugehen, dazwischen durchläuft. Nur durch grosse Geduld wird der Zweck erreicht; und hat er seine Lektion verstanden, so darf ihn der Lehrmeister wohl etwas zu Gute thun, damit er darin eine Wohlthat erkennt. Diese Dressur wiederhole man einige male, und wenn er dieselbe nicht verstehen will, so ziehe man ihn etwas an der Pallisade auf und züchtige ihn, bis er sich dem Willen seines Herrn unterzieht, jedoch spare man das Prügeln bis zur eigentlichen Nothwendigkeit. Auf gleiche Weise verfahre man ungefähr in einer geräumigen Hausflur.

4. Gewöhnlich haben die Hunde Freude am Ausgehen, und können oft nicht warten, bis die Thür aufgeht, durch welche sie dann in tausend Sprüngen ins Freie hinaustreiben; weil aber für einen Blinden dadurch nicht selten Verlegenheiten entstehen können, so nahm ich mit meinem Hund folgende Dressur vor: Ich stellte eine Bank in die Hausflur, jedoch so, daß auf der einen Seite eine kleine Öffnung zum Durchgehen übrig blieb, dann machte ich ihn schon im Zimmer am Stricke fest, damit er nicht schnell durch die Thür entwischen könne. Unbedachtsam rannte er dann unter die Bank, welche ich umwarf, damit er meinen sollte, sein Herr sei selbst zu Boden gefallen. Durch das Rumpeln derselben gerieth das Thier in Schrecken und fand in kurzer Zeit die Öffnung, durch welche es mich ins Freie hinausführen sollte. - Diese Dressur bedarf jedoch einer häufigen Wiederholung! - Auf gleiche Weise kann der Hund auf Deichselstangen von Kutschen, Wagen etc. aufmerksam gemacht werden; doch muß der Blinde genau wissen, wo diese Stangen, die gewöhnlich Brusthöhe haben, sich vorfinden. Will der Hund, was sehr schwierig ist, auf die Höhe dieser Gegenstände nicht achten, so ziehe man ihm am Stricke auf, und strafe ihn, bis er einen Begriff von der Sache hat.

5. Ich führte ihn dann auf eine sichere Straße, wo sich weder Bäche, Brücken und Abhänge, noch andere gefährliche Stellen befanden. War ein Fuhrwerk im Anzug, so zog ich ihn ungefähr 20 bis 30 Schritte vorher an dem Stricke, zum Zeichen, daß er in den linken oder rechten Fußweg ausweichen müsse; und er begreift es bald, daß er in solchen Fällen immer den sicherern Weg auszuwählen habe. Hat er sich an dieses Zeichen gewöhnt, so darf man von diesem bekannten Wege auf einen unbekannten übergehen und da die Dressur fortsetzen. Wenn ich z.B. eine halbe Stunde weit ging und erfuhr, daß sich auf der Hälfte des Weges zwei Straßen trennten, so mußte ich meinem Hunde das Zeichen natürlich schon frühe genug geben, damit er nicht den unrichtigen Weg betrete. Geht er diesen Weg unbedachtsam vorüber, so kehre man zurück und wiederhole das angedeutete Zeichen, bis er es versteht; auf gleiche Weise verfahre man in den Städten bei Seitengassen und Eckhäusern.

6. Gehe ich in ein Haus hinein, so läßt der Hund vor der Treppe den Strick etwas nach und steht still, bis er merkt, daß ich dieselbe, vermittelt meines Stockes, erreicht habe; ebenso bei'm Ausgang aus demselben; auch gewöhnte ich ihn daran, daß er gerade auf das Thürschloß selbst zugeht und nicht hinter die Thüre steht; auf gleiche Weise wanderte ich dann auf schmalen Stegen oder Brücken über Bäche und Flüsse, wobei er ebenfalls durch Nachlassen des Strickes mir das Zeichen gab, damit ich mit meinem Stocke die sichere Stelle aufsuchen könne, worauf der Hund so lange ganz langsam vor mir her ging, bis ich mich wieder auf sicherem Wege befand.

Um noch ein Wort über die Pudel zu sagen, so gebe ich zu, daß dieselben die beste Race zur Dressur sind, da sie sich nebenbei zu anderen belustigenden Künsten abrichten lassen; allein sie bedürfen einer eigenen Erziehung. Während ein Spitzerhund, selbst auf großen Wanderungen, ausdauert, so läßt sich der Pudel nur in Städten mit einigem Nutzen, und auch da oft nur als Schooßhündchen, gebrauchen, und ist zudem, besonders im Sommer, träge. Er besitzt große Empfindlichkeit und leidet keine Züchtigung. Nicht nur aber würde ich den Spitzer dem Pudel vorziehen, weil er ausdauernder als dieser, sondern weil er auch leichter zu dressiren ist; einzig muß man bei dieser Race darauf achten, daß das Thier zehn, höchstens sechszehn Monate alt und , um großen Verlegenheiten auszuweichen, von männlicher Art sei.

Keiner glaube jedoch, er mag sich Hunde von dieser oder jener Race halten, dieselben nur durch Prügel abrichten zu wollen; sofern jeder Zuchtmeister mache es sich zur Pflicht, sein Thier, wenn es ihn durch seine Dienstleistungen befriedigt hat, auch durch Liebkosungen zu seinem treuen Anhänger zu machen, und ihm dann und wann einige gute Lebensmittel zukommen zu lassen; denn nur so erwacht in demselben Wille und Folgsamkeit gegen seinem Gebieter, und es wird ihm bis zum Tode mit zärtlicher Anhänglichkeit dienen.


Ja, du mein Führer durch das Leben,
Du bleibest unzertrennlich mir;
Du kannst mir Muth und Tröstung geben,
Du bist des Lebens edle Zier,
Wer solch' ein Wesen wollte hassen,
Das oftmals selbst den Mensch beschämt,
Den sollte man wohl fühlen lassen,
Wie eigne Qual und Schmach ergrämt.
Ein edles Thier verdienet Ruhm
Und menschliche Bewunderung.

 

 

vorhergehende Seite zum Seitenanfang nächste Seite
vorhergehende Seite zum Seitenanfang nächste Seite

 

Chiens Guides d'Aveugles au Luxembourg   -   www.chienguide.org